Auszüge aus meinem Tagebuch
etwas literarisch aufgepeppt

Da mein neues Buch "Trotzdem lebe ich" hauptsächlich aus diesen Tagebuchauszügen besteht, habe ich die Eintragungen, die im Buch enthalten sind, hier gestrichen.
Ich bitte um Verständnis und verweise auf das Buch. Es wird ab November 2017 im Handel, bei mir und bei www.verlag-ccu.com erhältlich sein. 

Einst

Es war einmal
Es war einmal

Jetzt

So ist es jetzt
So ist es jetzt

 

Zwischen diesen Bildern liegen liegen 52 Jahre und 66 Kilo

Große Teile meiner Tagebucheintragungen werde ich in meinem Buch "...Trotzdem Lebe ich" veröffentlichen. Deshalb habe ich sie hier gestrichen.

Die nachfolgenden Geschichten sind nicht in dem Buch "Trotzdem lebe ich"

Doch sie stammen aus der gleichen Quelle: Auszüge aus den Tagebüchern


                                     Früh übt sich

Mein erste sexuelles Erlebnis mit Mädchen hatte ich etwa im Alter von fünf Jahren. Meine sehr unternehmungslustigen Cousinen, sechs und sieben Jahre alt, waren auf Besuch.
Man sagt ja Mädchen sind früher reif als Buben.
Diese Mädchen jedenfalls fanden die Spiele, die ich in meiner Unschuld auf Lager hatte, einfach fade. Sie wollten etwas Geheimnisvolles, Verbotenes tun. Davon hatte ich keine Ahnung.
Sie schlugen „Doktorspiele“ vor. Dazu suchten sie ein Versteck in den nahen Gebüschen am Ende des Hofes.
Um ärztlich untersucht zu werden, sollten wir uns alle nackt ausziehen. Das kam mir insofern komisch vor, weil ich sonst bei den Untersuchungen beim Arzt immer nur das Hemd ausziehen musste. Der Doktor blieb normalerweise bekleidet. Ich ahnte schon, dass hier  etwas Verbotenes begann, also fand ich es auch spannend.
Beim Anblick der nackten Mädchen musste ich lachen denn es fehlte ihnen Entscheidendes, wie ich meinte.
Sie kicherten und flüsterten auch bei meinem Anblick, was mich ein wenig verunsicherte.
Dann holten sie eine geheimnisvolle Schachtel mit vielen Bildern heraus
„Wir haben sie unter dem Bett von Opa gefunden“, erklärten sie lachend.
Es waren sehr seltsame Bilder von nackten Menschen in sehr komischen Haltungen. Nachdem wir die Bilder unter vielem  Lachen angesehen hatten, rückten die Beiden mit ihrem eigentlichen Vorhaben heraus. Sie wollten die Szenen auf den Bildern nachstellen. Tja sie waren wesentlich reifer als ich. Es gab eine Menge erfolgloser Versuche und viel Gelächter. Irgendwie war es lustig, bis auf dem Moment als sie mein Spatzerl in ihren Mund stecken wollten. Das sah man auch auf den Fotos. Da dachte ich, sie wollten ihn abbeißen und das machte mich wütend. Ich packte sie und setzte sie mit ihrem nackten Hintern in einen großen Ameisenhaufen.
Damit war das Doktorspiel zu Ende.
Es gab ein großes Theater und als meine Cousinen wieder abreisten, waren sie sehr böse auf mich.
Ich hatte viele Fragen und erzählte das Erlebnis meinem Großonkel, der mir schmunzelnd einige Aufklärung gab.
Ich fürchte, er hat mich mehr aufgeklärt als er durfte.
Davon hatte ich keine Ahnung aber ich denke, damals habe ich meine Unschuld verloren.
Otto Pikal                     2017

                             Amtsschimmel ahoi
Ich lernte meine Mutter erst im sechsten Lebensjahr kennen. Wegen meiner Lungenkrankheit war ich in Retz nahe der tschechischen Grenze aufgewachsen. Sie lebte zu jener Zeit in Rodaun in einer Kellerwohnung in der Halbrittergasse. Sie hatte mit mir von Anfang an Probleme, weil es für mich keine Papiere gab. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keine Notwendigkeit für eine Geburtsurkunde.
Doch als mich meine Mutter für die Schule anmelden wollte, wurde klar, dass ich eigentlich illegal in Österreich lebte. Ein Flüchtlingskind also. In Retz kümmerte das niemand. Mein Onkel, der mich nach der Flucht aus der Tschechoslowakei bei sich aufgenommen hatte, brauchte offensichtlich niemals Papiere für mich.
Es war eine Zeit, wo meine Mutter bis an die Grenzen ihrer Seelischen Belastbarkeit kam. Sie hatte inzwischen zum zweiten Mal geheiratet und war hochschwanger. Ich erinnere mich nur dunkel daran, dass sie  einige male bei Amtsbesuchen einen Nervenzusammenbruch hatte, weil sie nicht beweisen konnte, dass ich existiere.
„Aber da ist er doch! Mein Sohn – er steht doch hier – da vor ihnen!“, heulte sie verzweifelt.
„Wer sagt uns, dass es ihr Sohn ist. Können sie das beweisen?“
Sie konnte es nicht, weil mich in Wien niemand kannte. Das machte meine Mutter fertig. Während der letzten sechs Jahre nach der Flucht hatte sich keine Seele um Papiere für mich bemüht.
Es gab sogar die Drohung, mich in staatliche Fürsorge zu geben. Ich habe keine Ahnung wie sie es schaffte, das zu verhindern.
Der Umgang mit den Tschechischen Behörden begann erst jetzt. Es war offensichtlich sehr schwierig, denn meine Geburtsurkunde bekam ich erst mit zehn Jahren. Bis dahin war ich nicht existent und nur gnadenhalber in Österreich. Der Amtsschimmel wieherte offensichtlich immer wieder und kostete meiner Mutter Nerven und Überredungskunst.
Die Urkunde war in tschechischer Sprache und auch das machte Probleme, weil die Übersetzung nicht notariell beglaubigt war. Das ist sie übrigens bis heute nicht. Damals konnten wir uns keinen Notar leisten, später wollten wir nicht.
Mein Onkel musste aus Retz anreisen und unter Eid aussagen dass ich das Kind seiner Nichte war und warum ich so lange in Retz lebte. Er wurde mit einem Verfahren bedroht, doch offensichtlich wusste man nicht recht, was man ihm zur Last legen sollte. Ich war zu dieser Zeit sicher nicht der einzige ungeklärte Flüchtlingsfall. Es wurde ein Akt angelegt, der mich noch lange verfolgte. Er führte dazu, dass ich fast halbjährlich geröntgt und auf Lungenkrankheit untersucht wurde. Den Ärzten nach dürfte ich eigentlich nicht Leben. Doch das ist eine andere Geschichte.
Ich könnte mir vorstellen, dass meine Mutter in dieser Zeit manches Mal bereute, mich nach Wien geholt zu haben. Sie hatte mich sicher lieb aber das Leben mit mir war offensichtlich schwierig. Möglicherweise hat genau dieser Umstand auch dazu beigetragen, dass wir doch ein sehr inniges Verhältnis hatten. Sie hat mir in späteren Zeiten viele Dummheiten durchgehen lassen. Vermutlich zu viele. In der Rückschau erkenne ich das.
Mein Stiefvater war Anfangs sehr lieb zu mir. Das änderte sich erst als sein Sohn zur Welt kam.
Ab diesem Augenblick war ich für ihn das lästige Stiefkind. So begann für mich ein unglaublicher Leidensweg. Doch das sind andere Geschichten.

                                               Höhenangst

Lange Zeit meines Lebens rätselte ich, woher bloß meine Höhenangst stammen möge. Es genügten schon zwei, drei Meter um mir das Gefühl zu geben, dass ich mich übergeben müsste.

Ich erinnere mich doch daran, dass ich als Kind mit meinen Freunden auf den Bombenruinen herumgeklettert bin – hinauf bis aufs Dach. Es konnte gar nicht hoch genug sein.

Es musste etwas passiert sein, was ich offensichtlich verdrängt habe.

Letztlich war ich auf der Breitenfurter Straße nach Rodaun unterwegs und es gab kurz vor dem Aquädukt einen Stau wegen Straßenarbeiten.

Gelangweilt blickte ich die Aquädukt Mauern hoch als es mir plötzlich wie Schuppen von meiner Seele fiel. Es fühlte ich an wie ein Schlag in die Magengegend. Plötzlich war mir klar, woher meine Höhenangst stammen könnte.

Da fiel mir alles wieder ein.

Das Aquädukt der ersten Wiener Wasserleitung und seine Höhe war für uns Kinder eine Herausforderung.

Es wurde 1870 bis 1873 erbaut und quert den 23. Bezirk zwischen Ketzergasse und Breitenfurter Straße und endet im Wasserbehälter Rosenhügel.

Damit könnte man Theoretisch das gesamte Liesingtal von Perchtoldsdorf bis Mauer überqueren. Ich sage deshalb „könnte“, weil es ja verboten war und es gab vereinzelt Absperrungen, die eine Überquerung verhindern sollten.

Das war nicht leicht für uns Kinder! Wir schafften es zuerst nicht die Sperren zu überklettern. Ich fand einen Weg. Der war allerdings sehr gewagt und es war genau das, was mich daran faszinierte.

Man musste die Sperre an der Mauerseite überwinden. Dabei hing man eine Zeitlang direkt über dem Abgrund. Danach kletterte man auf der anderen Seite wieder hoch. Meine Freunde weigerten sich mitzutun.

Das verschaffte mir ein unglaubliches Siegergefühl.

Mit großen Schwierigkeiten schaffte ich es an dem seitlichen Gitter zuerst hinunter, unten durch und auf der anderen Seite wieder hinauf zu klettern. Danach war ich erschöpft, denn es hatte mehr Mut und Kraft gefordert als ich dachte. Doch die bewundernden Zurufe meiner Freunde richteten mich auf und ich beschloss allen Warnungen zum Trotz, das Tal auf dem Aquädukt zu überqueren. Es war aufregend! Tief unten die Straßen, Gärten und der Liesingbach.

Dann allerdings wurde es ungemütlich, denn es gab mehrere Absperrungen die zu überwinden waren.  Nur meine Sturheit und mein Stolz verhinderten, dass ich umkehrte. Diesen Triumpf wollte ich meinen Freunden nicht gönnen.

Als ich wieder an den Stangen der seitlichen Absperrung hing, verlor ich plötzlich meinen Schuh!

Ich hätte ihm nicht nachsehen dürfen! Er fiel nach unten, kam auf eine der seitlichen Stützen auf und fiel in weitem Bogen auf die Straße.

Da kam ein Fahrzeug und überfuhr den Schuh.

Es war dieses Geräusch, das fast zu meinem Absturz führte. Es war der Augenblick an dem meine Höhenangst geboren wurde. Mit letzter Kraft hangelte ich mich nach oben und blieb verzweifelt liegen.

Schuhe waren in meiner Kindheit etwas Kostbares. Ich ging lange Zeit barfuß in die Schule.

Doch das war es nicht allein. Der Flug des Schuhes löste bei mir die Vorstellung aus, dass ich es hätte sein können. Der Aufprall und das hässliche Geräusch hätte durch meinen Körper entstehen können.

Ich träumte nächtelang von einem Absturz, bis mein Unterbewusstsein offensichtlich beschloss mich durch Vergessen und Höhenangst zu schützen.

Glücklicherweise hat es das bei vielen anderen Erlebnissen nicht getan, sonst gäbe es mein Büchlein nicht

Otto Pikal                     2017

 

                               Krieg der Sterne
Taxilenker sind geduldige Menschen. Sie kennen kaum Stress. Es sei denn sie stecken im Verkehr. Ihr Verhalten macht dann möglicherweise anderen Verkehrsteilnehmern Stress.
Im Allgemeinen besteht ein großer Teil der Arbeitszeit aus Warten.
So ist es heutzutage.
Funktaxi-Lenker in früheren Zeiten allerdings konnten sich kaum entspannen. Sie mussten auf die Durchsagen der Funkdamen achten. Diese riefen ständig irgendwelche Adressen aus. Sollte eine dieser Adressen für den Taxler in zwei Minuten erreichbar sein, musste er schnell einen Knopf drücken, um seine Kennung  einzugeben. Dazu war es - im Gegenteil zu den heutigen „Navi-Taxlern“ nötig, absolute Ortskenntnis zu haben. Jedes Zögern hieß zu verlieren, denn waren mehrere Taxis in der Nähe, so fuhr der Erste, der sich am Funk durchsetzen konnte. Wenn viele gleichzeitig drückten gab es oft Schwierigkeiten weil sich die Kennungen überschnitten. Da kam es oft darauf an, auf einem Ort zu stehen, an dem das Funksignal stark war. Oder das Funkgerät wurde manipuliert um mit einem stärkeren Signal die anderen Bewerber zu verdrängen. Das war für die ehrlichen Taxilenker frustrierend, weil sie nur mehr Fuhren bekamen, die keiner wollte.
80% der Funkfuhren wurden damals von 20% der Fahrzeuge übernommen.
Damals waren fast ausschließlich „Mercedes-Taxis“ unterwegs.
Aber auch unter den Gaunern gab es natürlich wilde Kämpfe um die Fuhren. Mit der Zeit wurden die technischen Vorrichtungen um die Mitbewerber auszustechen immer mehr verbessert.
Da man damals den gesamten Funkverkehr mithören konnte, wusste man bald, welche der Nummern ständig Fuhren bekamen, während man selber chancenlos war.
Dann wurde geschimpft und geflucht und die armen Taxikunden mussten es während der Fahrt mithören. Da die Taxilenker zumeist nicht zu den feinen Leuten gehörten, gab es immer wieder Beschwerden der Kunden.
Als erste Maßnahme dagegen hörte man später die Kommentare der Kollegen nicht mehr über Funk im Auto.
Eine Möglichkeit war auch, diesen Gaunern die Fuhren zu stehlen, indem man früher dort war und den Kunden einsteigen ließ. Da konnte es passieren, dass es zu Kämpfen kam. Ein Krieg der Sterne. Die Leidtragenden waren die Kunden und der Ruf des Taxigewerbes.
Eine weitere Maßnahme um es den manipulierten Taxis schwerer zu machen war, zuerst den ersten Wagen am Standplatz in der Nähe der Adresse zu rufen. So gab es wenigstens für den ersten Wagen an einem Standplatz die Möglichkeit eine Funkfuhre zu bekommen.
Gleichzeitig war es dann oft nicht möglich den Kunden in zwei Minuten zu erreichen. Diesen blieben die Kämpfe der Taxler natürlich verborgen.
Sie maulten nur und taten den Fahrern oft unrecht.
Otto Pikal                                                         2017

                     

                       Sylvester am Stephansplatz

Einmal wollt ich dabei sein – Sylvester Rummel am Stephansplatz.
Als Taxilenker hat man doch den Vorzug, dass man direkt neben dem Stephansdom am Taxistandplatz parken kann. In den letzten Jahren hatte ich mir das Sylvester-Ereignis im Taxi sitzend und auf einen Fahrgast wartend angesehen. Tatsache war aber, dass vor Mitternacht kein Fahrgast kam. Es ging klarer weise immer erst einige Zeit nach Mitternacht mit Fuhren los.
Dieses Jahr stieg ich aus und mischte mich unter die feiernde Menge. Alle waren fröhlich und guten Mutes. Vor dem Dom gab es eine Tribüne mit einem Sprecher und flotter Musik.
Normalerweise fühle ich mich nicht sehr wohl in großer Menschenmenge. Diesmal war ich bereit dieses besondere Ereignis der Jahreswende zu genießen.
Es wurde getanzt, gesungen, geschrien, gelacht und vor Allem getrunken. Seit einigen Jahren war es Unsitte die leeren Gläser auf den Boden zu schmettern. Das gefiel mir weniger. Einige Taxikollegen fuhren den Stephansplatz zu Sylvester deswegen nicht mehr an. Man fürchtete die Reifen zu ruinieren.
Zwischendurch gab es immer wieder Idioten, die mitten aus der Menge Feuerwerkskörper aufsteigen ließen. Dieses war streng verboten und etliche, vorwiegend junge Polizisten, versuchten vergeblich die Täter zu fassen. In der wogenden Menge war das fast unmöglich. Sie machten sich lächerlich und wurden von der Menge verhöhnt und behindert.
Das fand ich weniger schön. Überhaupt begann mir inzwischen die Umherschieberei auf die Nerven zu gehen.
Es waren nur mehr Minuten bis Mitternacht und ich dachte: „Das schaffe ich noch!“
Dann war es so weit.
Die Pummerin begann zu läuten.
Die Pummerin ist Österreichs größte und schwerste Glocke: Sie wiegt 21.383 kg und hängt seit 1957 am Nordturm
Diese Riesenglocke war normalerweise nur sehr selten zu hören und viele Fremde waren nur ihretwegen am Platz.
Der Jubel und das Geschrei war ohrenbetäubend und wurde doch von der Pummerin übertönt. Dann ging es los mit den verbotenen Feuerwerkskörpern.
Da hörte ich in meiner Nähe ein Zischen. Ein Feuerwerkskörper zischte direkt waagrecht auf mich zu. Geistesgegenwärtig warf ich mich in den Dreck und entging dem Geschoß. Es traf den Mann hinter mir in die Brust. Es warf ihn beinahe um, nur die Menge hielt ihn auf. Zum Glück war er mit einem Ledermantel bekleidet. Dieser litt zwar unter dem Einschlag, hatte aber Verletzungen verhindert.
Nach einer kurzen Schockstarre begann er mich unflätig zu beschimpfen. Wie könnte ich es wagen das Geschoß auf ihn zu lenken. Mein Einwand ich hätte kein Geschoß gelenkt sondern mich nur zu Boden geworfen, wurde einfach weg gewischt. Als sich dann noch mehrere Leute einmischten und mich auch beschimpften, suchte ich das Weite. Ich war in Gefahr verprügelt zu werden.
Ich entkam, konnte aber mit der verschmutzten Kleidung nicht weiter arbeiten. So wurde der Sylvester auch eine finanzielle Niederlage. Außerdem hasse ich es ungerecht behandelt zu werden. Der Stephanplatz hat mich zu Sylvester nie wieder gesehen.
Otto Pikal                                                2017

 

Die Superfuhre

 

Ich hätte es wissen müssen. Alle Kollegen vor mir ahnten es offenbar.
Ich stand wieder einmal am Taxistandplatz Liesing. Eine Nacht zum Vergessen. Eine einzige Fuhre und diese brachte mich aus der Stadtmitte an den Stadtrand.
Ab diesem Augenblick war Ebbe mit Umsätzen. Seit zwei Stunden keine Fahrgäste und auch kein Funk. Ich, der letzte von fünf Wagen am Standplatz. Ich hätte leer in die Stadt fahren sollen. Doch nein – ich war stur. Ich wollte nicht.
Da sah ich wie ein offensichtlich betrunkener Mann auf das erste Taxi zusteuerte. Nach einigen kurzen Worten mit dem Fahrer torkelte er zum zweiten Wagen. Auch dieser Kollege lehnte ihn offensichtlich ab, ebenso der Nächste. Er kam also auf mich zu. Betrunkene um drei Uhr früh waren für mich ganz normal. Um diese Zeit gab es kaum nüchterne Fahrgäste. Angesichts meines desaströsen Umsatzes in dieser Nacht, war durchaus bereit mit ihm zu fahren.
„Hallo Kollege!“, lallte der Mann. „Die Kollegen wollen mich nicht mitnehmen weil ich ein wenig drüber bin. Ich kenne das, bin ja selber Taxler. Kannst du mich Heim bringen?“
„Wo willst du denn hin?“, fragte ich, nicht besonders begeistert. Aber immerhin – ein Kollege.
„Nach Wöllersdorf! Weißt du wo das ist?“
Ich wusste wo das war! 50 Kilometer auf der Autobahn. Diese Fuhre wäre die Rettung der Nacht.
„Hast du genügend Geld dabei?“ Das wäre ja nicht unwichtig!
„Geld ist kein Problem – meine Frau bezahlt das!“
Jetzt war mir klar, warum die Kollegen ablehnten. Nun – für mich war Wöllersdorf auf dem Weg nach Hause, denn ich wohnte in Seebenstein, etwa 20 Kilometer weiter und würde eben nach dieser Fuhre Schluss machen.
Eigentlich ein Glückfall.
Also fuhren wir los. Während der ganzen Fahrt brabbelte er vor sich hin und erzählte sich offensichtlich selbst Geschichten, denn ich konnte kein Wort verstehen.
Am Ziel angekommen, einem kleinen, netten Häuschen von einem Garten umgeben, fiel er einmal um bevor er die Eingangstüre erreichte. Dann fummelte er minutenlang am Schlüsselloch herum. So, sah ich mich genötigt ihm zu helfen. Doch der Schlüssel schien nicht zu passen.
„Bist du auch an der richtigen Adresse?“, fragte ich ihn, denn mir schwante böses.
„Alles richtig, alles richtig“, murmelte er und pochte energisch an die Tür.
Im ersten Stock des Hauses ging das Licht an und man hörte es im Haus rumoren.
Es dauerte einige Minuten, dann wurde plötzlich die Tür aufgerissen und eine etwa 50-jährige Frau im Nachthemd und Bademantel stand in der Tür. In der Hand hielt sie eine Schrotflinte. Das Gesicht zu einer bösen Fratze verzogen schrie sie mit schriller Stimme, die mir durch Mark und Bein fuhr:
„Jetzt reicht es mir! Wenn ihr mir noch einmal dieses versoffene Miststück herbringt, könnt ihr das Taxi verschrotten. Das ist bereits das dritte Mal in dieser Woche. Der Kerl hat hier nichts mehr verloren. Sehen sie zu, dass sie mit ihm verschwinden oder sie werden es bereuen.
Na also – Ich bereute es jetzt schon.
Eilig schleppte ich den offenbar im Delirium befindlichen Kerl in das Taxi zurück. Mit einigen Mühen schaffte ich es und fuhr einige hundert Meter um der zeternden Frau aus den Augen zu kommen.
Dann blieb ich aufatmend stehen und überlegte was zu tun sei. Der angebliche Kollege war inzwischen fest eingeschlafen.
Wieder nach Wien zurück fahren? Nein
Ihn einfach hier lassen? Nein dieser Megäre wollte ich ihn nicht überlassen.
Also was nun.
Inzwischen graute der Morgen. Die Müdigkeit machte sich bei mir bemerkbar. Der Kerl schlief den Schlaf des ungerechten. Ich war sauer. Mehr auf mich selbst als auf den Fahrgast.
Dann kam mir die rettende Idee.
Ich lenkte mein Taxi nach Wiener Neustadt zum Bahnhof. Bei den Taxistandplätzen lud ich den inzwischen wieder erwachten angeblichen Kollegen aus und stelle ihn gegen eine Säule.
„Den kannst du dir wieder mitnehmen!“, rief mir ein Neustädter Taxler zu.
Ich aber gab Gas und flüchtete Richtung Seebenstein.
Ich weiß natürlich dass dies nicht die feine englische Art war, doch ich wusste in meiner Verzweiflung keinen anderen Ausweg

 

                            Eine neue Erfahrung
Als ich im Alter von 6 Jahren vom Land nach Wien in die große Stadt kam, hatte ich insofern Glück, dass meine Mutter zu dieser Zeit am Stadtrand in Rodaun wohnte. Der Schock für mich war, dass wir in der Halbrittergasse in einer schönen Villa im Keller wohnen mussten. Spielen war für mich nirgends erlaubt. Gleich in der ersten Woche wurde mir mein Lieblingsauto, das ich an einer Schnur hinter mir her zog, weggenommen. Es war auf dem Pflaster rund um die Villa zu laut und im angrenzenden Garten durfte ich nicht spielen.
Ich war nach Wien gekommen um meiner Schulpflicht nachzukommen.
Die Volksschule war nicht weit und ich durfte schon nach zwei Tagen allein in die Schule gehen. Sie existiert heute nicht mehr. Heute ist dort ein Parkplatz gegenüber dem heutigen Gallo-Rosso auf der Ketzergasse. Sie hieß damals anders – Hauptstraße oder Stelzer-Gasse. Von der Südbahnstrecke bis Hochstraße hieß die Ketzergasse – Grenzgasse, jedenfalls habe ich das so in Erinnerung.
Ich ging mit Freuden in die Schule. Ich war sehr verliebt in meine damalige Lehrerin. Doch das wirklich Tolle war der Nachhauseweg. Denn in der Halbrittergasse nur hundert Meter von unserer Kellerwohnung entfernt, gab es einen Bauernhof. Er hatte alles, was ich von einem Bauernhof kannte. Es war allerdings eine Schlachterei dabei, die mich weniger begeisterte. Vermutlich entstand daraus die Fleischerei Pöhl die ihr Geschäftslokal in der Grenzgasse bzw. heutige Ketzergasse hatte. Man konnte von der Grenzgasse durch den Bauernhof bis in die Halbrittergasse gelangen, was ich weidlich ausnützte um mich mit den Tieren zu beschäftigen. Ich war ja bis dahin mehr oder weniger auf einem Bauernhof aufgewachsen; also war der Umgang mit den Tieren für mich kein Problem.
Eine Besonderheit war eine liebe alte Frau – möglicherweise die Bäuerin, der ich offensichtlich imponierte. Sie musste meine Armut erkannt haben, denn sie gab mir so oft es möglich war Lebensmittel mit nach Hause. Mal waren es Eier, dann Kartoffel, Maiskolben, Salate oder mal ein Krauthäuptel je nach Jahreszeit. Nicht viel, aber es besserte unsere Mahlzeiten sehr auf.
Ich kam gut mit den Tieren aus. Ich durfte sie füttern und auch mal ausmisten. Mit einer Ausnahme – Der Pepi, das war ein sehr nervöser Gaul. Mit Pferden hatte ich keine Erfahrung, die gab es bei meinem Onkel in Retz nicht. Ich sah, dass man das Ross mit Karotten füttern konnte und wollte es auch einmal tun. Weil ich so klein war langte ich nicht über die Barriere zu dem Pferd.
Also öffnete ich die Box um die Karotte zu reichen. Da wieherte das Pferd laut, bäumte sich auf und schlug mit den Vorderhufen nach mir.
Zum Glück war die Box so eng, dass es nur die Wand traf. In voller Panik tat ich das einzig Richtige: Ich hechtete aus der Box und es gelang mir den Verschlag zu schließen ehe das  Tier
mit Ausbruch reagieren konnte. Von diesem Augenblick an ging ich jedem Pferd aus dem Weg.
Diesen Schock habe ich bis heute noch nicht verkraftet, sehr zum Leidwesen meiner Frau, die auf unsere kleinen Bauernhof gerne ein Pferd gehalten hätte. Doch das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

Der Hausfrauenschreck

Ich habe unter anderem das Tischlerhandwerk gelernt. Ich war gerne Tischler obwohl es für mich schwierig war. Als Linkshänder war ich für manche Holzbearbeitungsmaschinen nicht voll geeignet, weil diese für Rechtshänder gebaut wurden.
Ich arbeitete gerne in der Werkstatt und auch am Bau denn dort konnte man konnte in Ruhe arbeiten und musste den entstandenen Abfall erst am Ende des Tages entfernen. In der Werkstatt war das die Aufgabe der Lehrlinge.
Das wurde extrem anders als ich in einer Möbeltischlerei arbeitete und mit Montagearbeiten bei Privatkunden beschäftigt wurde.
Da wurden Küchen und Wohnzimmereinrichtungen montiert. Damals waren die Wohnzimmerschränke von Wand zu Wand modern.
In den Küchen standen noch Kredenzen und einzelne Kasteln– kennt sowas überhaupt noch jemand? Das Wasser war am Gang. Wer kennt heut noch eine Bassena. Die Abwasch war bei manchen Familien unter dem Esstisch versteckt. Da gab es zwei Wannen, die in einer ausziehbaren Platte eingelassen waren und mit Wasser aus Kübeln gefüllt wurden. Nach Gebrauch verschwanden sie wieder unter dem Tisch. Dies war bereits für gehobene Ansprüche. Normalerweise stand auf einem Stockerl ein Lavoir oder eine andere Wanne. Bei einigen Leuten gab es für die Waschschüssel ein eigenes Metallgestell. Allerdings nur wenn genug Platz vorhanden war.
Da kam etwas Neues aus Amerika. Die amerikanische Küche.
Aus USA Filmen konnte man sehen, dass diese Küchen verbaut waren.
Meine Aufgabe war nun diese modernen Möbel einzubauen und anzupassen.
Damit begann mein eigentliches Problem. Ich bin kein besonders ordentlicher Typ.
Ich hatte es hier mit Hausfrauen zu tun. Die waren in den Fünfzigern noch modern.
Wenn ich also etwas bohren, hobeln oder schneiden musste, dann krochen die um mich herum um sofort jeden anfallenden Krümel aufzukehren.
Wie ich das hasste.
Dazu die Fragerei: „Was machen sie jetzt, was wird dies, was wird das, ist das nötig, muss dieses sein? Und so weiter.
Es beschleunigte jedesmal meinen Pulsschlag.
Doch der Meister hatte mir eingebleut: „Das sind Kunden – egal was sie tun – immer freundlich und liebenswert bleiben!“
Nun das war in jener Zeit nicht meine Stärke. Es war ein Lernprozess aber der Hass auf um mich herumkriechende Hausfrauen blieb.
Während dieses Lernprozesses war mein Meister öfters ungehalten. Doch das sind andere Geschichten.
Ich wechselte den Beruf und wurde LKW – Fahrer. Zuerst als Möbelpacker – da konnte ich die Möbel gleich montieren. Mit dem gleichen Ergebnis – siehe Oben.
Deshalb war ich sehr begeistert als ich ein Angebot nach Deutschland als Tankwagen-Fahrer bekam. Noch dazu mit einem tollen Gehalt.
Doch auch bei diesem Job gab es ähnliche Situationen wie vordem.
Die Zustellung zu Tankstellen war relativ einfach, doch weil ich ein Anfänger war, bekam ich den kleinsten Tankwagen und der war für Heizöl zu Privatkunden vorgesehen.
Sie erkennen vielleicht mein Dilemma.
Eines der Ereignisse habe ich besonders in Erinnerung.
Zustellung 500 Liter Heizöl, Einfamilienhaus. Schon bei der Ankunft schwante mir böses. Dort war einfach alles zu ordentlich für mich.
Wie ich dachte, so war es. Eine Superhausfrau! Der Tank stand im Keller. Ich musste also ins Haus weil der Stiegenabgang im Vorzimmer war. Nach meiner Weigerung meine Schuhe auszuziehen, gab es den ersten Unmut. Ich war freundlich und liebenswert, aber sehr bestimmt. Während ich den Schlauch von Aussen durch das Kellerfenster zwängte, legte die Hausfrau die gesamte Strecke in den Keller mit Zeitungen aus. Dabei jammerte und stöhnte sie vor sich her. Mir war es egal was sie brummelte. Meine Schuhe zog ich nie aus. Später hatte ich einen selbstgemachten Überzug für die Schuhe. Man lernt ja dazu.
Ich schloss den Schlauch im Keller an – immer verfolgt von den Argusaugen meiner Kundin – und fragte: „Ist dieses Messgerät in Ordnung?“ Es zeige fast leer an. Die Antwort, fast beleidigt, war: „Natürlich was denken sie. Bei uns ist immer alles in Ordnung!“ Ich nahm den Tadel hin. „Was würde denn passieren, wenn sie zu viel einfüllen?“
„Die Füllanzeige wäre die schwächste Stelle. Da würde es zuerst heraus spritzen. Ich nehme nicht an, dass sie diese Erfahrung machen wollen!“ Ich konnte mir diese Bemerkung nicht verkneifen.
Am Wagen angekommen war ich der Meinung ich könnte mit vollen Druck einlassen. Der Tank im Keller schien ja leer zu sein.
Ich hatte kaum eingeschaltet und war auf dem Weg ins Haus als ein gellender Schrei ertönte.
Alles klar! Es war geschehen. So schnell ich konnte schloss ich das Ventil. Viel konnte noch nicht passiert sein. Ich schluckte meine beginnende Schadenfreude schnell hinunter als ich sah was tatsächlich passiert war. Das Messgerät hatte falsch angezeigt; der Tank war fast voll gewesen!
Die Hausfrau war der Ohnmacht nahe. Sie stand mit ihren entzückenden Katzen-Pantöffelchen zentimeterweise im Heizöl und war von oben bis unten mit Heizöl begossen.
Wir mussten einen kompletten Lastwagenzug Sand in den Keller schütten um das Öl aufzusaugen. So im Nachhinein kann ich mich einer gewissen Schadenfreude nicht erwehren.

Nicht immer waren es Hausfrauen, die mich nervten.
Eines Tages empfing mich ein distinguierter, älterer Herr im seidenen Morgenmantel, die Nase ob meines Dieselgeruchs rümpfend. Mein Freund würde er nicht werden. Kategorie: Hochnäsig, unsympathisch!
„Sieh an! Ihr bequemt euch doch noch zu kommen!“, empfing er mich.
Ich blieb still und war froh, dass sein Tank in einer Garage neben dem Einfamilienhaus stand.
Auch er bestand darauf dabei zu sein. Möglicherweise wollte er verhindern, dass etwas gestohlen wird. Die Garage wirkte eher wie eine Rumpelkammer. Wie ich später erfuhr war dort Material für einen Flohmarkt gelagert.
Damit verdiente sich der Herr ein kleines Körberlgeld.
In Anbetracht meiner Erfahrungen bat ich ihn eindringlich nicht in die Nähe des Heizöltanks zu kommen.
Dieser Tank hatte keinen direkten Anschluss, sondern man musste wie bei einer Tankstelle den Stutzen in die Öffnung stecken und fixieren.
Der Tank war fast leer also gab ich Gas.
Wie sie vielleicht schon erraten, gab es kurz darauf einen schrillen männlichen Schrei allerdings mit viel Gefluche.
Als ich abgeschaltet hatte, kam mir der Unglückselige mit dem Schlauch in der Hand entgegen. Der seidene Bademantel war nicht mehr als solcher erkennbar.
Wie sich herausstellte hatte der Herr beim Einschalten eine Bewegung gesehen und dachte der Schlauch würde aus der Fassung springen.
Er wollte die Situation retten und riss ihn nun tatsächlich aus der Verankerung. Es spritzte und er schaffte es nicht in die Öffnung zu finden.  So tanzte er mit spritzendem Schlauch in der Garage herum und schaffte es alles Gerät mit Heizöl zu taufen. Damit war an Flohmarkt nicht mehr zu denken.
Er schimpfte und fluchte gotteslästerlich.
Da reichte es mir!
Ich brüllte noch lauter als er: „Habe ich ihnen nicht gesagt sie sollen weg bleiben!? Habe ich!?“ Er wollte etwas erwidern doch ich brüllte ihn nur noch lauter an: „Habe ich oder habe ich nicht!? Sind sie Taub!? Haben sie es nicht verstanden!? Sind sie Ausländer!?“
Mit dieser offensichtlichen Beleidigung ließ ich ihn stehen. In diesem Fall war ich nicht freundlich und liebevoll.
Die weiteren Aktionen überließ ich meinem Chef.
„Der sagte nur Oodoo!“ Er mochte mich. Doch sein „Oodoo“ brauchte er immer öfter. Doch das sind andere Geschichten.
Otto Pikal                    2018

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